Euch kann ich´s ja sagen – nichts, aber schon absolut überhaupt gar nichts ist mir heiliger.. Wie kann ich dem Pferd gerecht werden? - fragt sich Daniela Kummer.
Die Installation „BLISS“ in der Werkstadt Graz ist ein halb- bis dreiviertelstündiger Nachtrag von Susanna Flock und Leonhard Müller zu ein paar Versprechungen aus der Frühzeit der Informationstechnologie.
„BLISS“, ungefähr zu übersetzen mit „Glückseligkeit“, ist der Dateiname jenes standardmäßigen Windows-XP-Bildschirmhintergrunds, den eh jede und jeder kennt (grüne Hügel, blauer Himmel, sanfte Wellen im hohen Gras …).
Die Ausstellung gleichen Namens in der Galerie Grazy (ist gleich im Erdgeschoss-Hinterhaus der Werkstadt Graz in der Sporgasse) besteht aus vier Videoinstallationen, deren Gemeinsamkeit sich über die Verknüpfung von ein paar Gedanken zu jener „Glückseligkeit“ herstellen lässt. Sich diese Gedanken zu machen und sie zu überblicken, ist das Vergnügliche bzw. die Hauptsache an „BLISS“; somit ist das Ganze eine entschiedene high-concept-Sache – hängt also davon ab, ob das Konzept verfängt, während irgendwelche Details an der Umsetzung nur von nachgeordneter Bedeutung sind.
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Wir vergegenwärtigen uns also: Zunächst, dass es sich bei dem titelgebenden Landschaftsbild um ein Foto handelt. Dann, dass sich aus diesem ersten Umstand ableiten lässt, es habe dieser so beschaffenen Hügel unter dem so beschaffenen Wetter irgendwann einmal irgendwo physisch existiert. Weiter, dass es dort inzwischen, also 2017, nicht mehr genau so aussehen wird, sondern vielmehr anders. Was aber, wiederum weiter, nichts an der Wirklichkeit des Bildes ändert, seinem Charakter als sein eigener, bedeutungsbefrachteter Nicht-Ort; als „guter Ort“, auf den wir durch die Repräsentationen unserer Arbeiten (die Icons auf dem Desktop) hin durch hinstarren – Eutopos, Utopie. (Ziemlich kitschige Utopie noch dazu, fehlen bloß noch Schafe; der kleinste gemeinsame Nenner aus der Retorte alles dessen, was einem grauen Büroalltag fehlen könnte; usw. usf.) … Will sagen: Es geht bei "BLISS" um das Verhältnis der physischen Wirklichkeit zur Wirklichkeit von Abbild und Symbolsystem; darum, was sich an diesem Verhältnis in den letzten dreißig-vierzig Jahren geändert hat; was nie wieder so wird wie früher und was vordem nie so war wie jetzt.
In jenen akademischen, militärischen und industriellen Nischen, in denen die ersten Vorstufen dessen gediehen, was heute das Internet ist, gedieh auch, als theoretisch-ideologisches Betriebsgeräusch dieser Entwicklungen, eine bestimmte Art, über die Zukunft zu reden, eingebettet in eine bestimmte Popularkultur. Als 1984 der Roman "Neuromancer" von William Gibson erschien, in dem zum ersten Mal das Wort "Cyberspace" auftauchen sollte, da hatte diese Popularkultur ihre Unschuld schon verloren, da nahm die Veränderung der Gesellschaft durch Virtualisierung und Vernetzung konkrete Züge an und wurde dem Ideal (wie eh immer) nicht gerecht (warum, das ist eine andere Frage, die uns ganz anderswo hinführen würde). Wir können die Ausstellung "BLISS" als Erinnerung an diese Zukunft betrachten.
Das erste der vier Videos zeigt uns einen Schaumstoff- oder Hartgummizylinder, der sich vor allerhand Hintergründen um allerhand Achsen dreht. weiter?, denken wir uns. Erst, wenn das Video uns die beiden Menschen zeigt, in grünen Ganzkörperanzügen, die das Zylinderdings zwischen sich vor einem Greenscreen drehen – also die physikalische Wirklichkeit – erinnern wir uns überhaupt, dass die zuerst wahrgenommenen Bewegungen sich in der Wirklichkeit nicht ausgehen. Der Rest des Videos inszeniert dann den Tanz der grünen Gimps ums Schaumstoffutensil – im Gegensatz zum Tanz des Utensils vor der computergenerierten Beliebigkeit.
Auch im dritten Raum (ja, wir haben den zweiten erstmal übersprungen) geht es darum, was wir als "wirklich" wahrnehmen: Das eine der beiden Videos hier zeigt uns ein Standbild, oder? Ah, ok, kein Standbild, sondern ein Film von einem leeren grünen Feld (jenem im "Bliss"-Bild nicht unähnlich), und der Wind geht drüber weg. Und am unteren Rand, was ist das? Ein Holzbalken? Da hat man also den leeren BLISS-Windows-Desktop samt Menüleiste – sechs Meter lang, sagt uns der Begleittext – in der Wirklichkeit arrangiert. Lustig; aber es gibt Abzugpunkte, weil rechts unten keine (in Wirklichkeit dann halbmeterbreite) Digitaluhr uns die Echtzeitzeit zeigt.
Das andere Video im dritten Raum inszeniert das Runterscrollen durch Bild- und Videoinhalte; inhaltlich geht es passenderweise um Haptik; um Hände, die Sachen angreifen, um echte und "falsche" Hände; auch dieses hier führt uns vor, was wir 2017 für eine "naturgemäße" Bewegung halten können, das vor 30 Jahren noch wie das schiere, Desorientierung verursachende Chaos gewirkt haben würde.
Die Hauptsache dieser Ausstellung aber ist in Raum zwei zu finden: Ein circa zwanzigminütiges Video mit Ausschnitten eines virtuellen Stadtrundgangs durch Manhattan. "Virtuell" heißt, es trafen sich die Teilnehmer bloß als Avatare in einem leergeräumten Level eines Multiplayer-Ballerspiels, als dessen Kulisse Manhattan dient, mit recht detailliert und korrekt wiedergegebener Architektur. "Stadtrundgang" heißt, es fand da eine Führung zum Thema "Architektur gewordene Sozialgeschichte" statt, von einem Le Corbusierschen Sozialwohnbauprojekt bis zum Endpunkt, den Fundamenten des Trump Tower. Man kann sich übrigens zu weiteren solchen Führungen noch über die Werkstadt Graz anmelden.
Eine kleine Geschichte von der Verflüssigung der Wirklichkeit - die Bilder, die hier verwendet werden, stammen von © Peter Purgar.
Alle Bilder, die für info-graz.at gemacht wurden, finden Sie in den Ausstellungsfotos im Bereich Eventbilder.